Montag, 24. September 2012

Neues aus der Anstalt

Um es mal gleich vorwegzunehmen - wirkliche Neuigkeiten gibt es eigentlich nicht wirklich, eher Updates, aber auch das ist ja nicht ganz schlecht. Es ist schön, wenn Patient und Pflegekraft zumindest einigermaßen auf dem Laufenden sind über das, was in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten geplant ist. 

Nach einem längeren Gespräch mit Professor Klingebiel, der als oberste Instanz über Lenas Therapie wacht, wurde heute etwa beschlossen, dass die Anti-Pilztherapie weiterhin ein wesentlicher Bestandteil unseres täglichen Lebens sein wird - und zwar mindestens für die nächsten zwei Monate. Das freut in erster Linie die Hersteller der Antimykotika Caspofungin und V-Fent, die dank uns zur Zeit monatlich etwa 36.000,- Euro mehr auf ihrem Geschäftskonto haben, aber natürlich auch den Rest der Pharmabranche, denn unser täglicher Bedarf an Spritzen, Kanülen, NaCl-Ampullen, Heparin, Desinfektionssprays, Infusionsleitungen etc.pp ist für einen Privathaushalt schon sehr beachtlich. 


Auch wenn uns dieses tägliche Programm weiterhin zu Sklaven eines überaus strengen Zeitregimes macht, hat es nicht nur Nachteile. Schließlich soll die intensive Pilztherapie nicht nur der bestehenden Aspergillose den endgültigen Garaus machen, sondern sie bedeutet auch einen gewissen Schutz vor einer neuerlichen Infektion mit einem nicht zu unterschätzenden Gegner, der vor allem jetzt zu Herbstbeginn überall unsichtbar in der Luft lauert und Lena bereits einmal fast das Leben gekostet hat. Also immer her mit den Medikamenten, da kann das Mütterlein nachts besser schlafen.
Ansonsten beginnt Lena heute wieder mit den täglichen Chemotabletten Thioguanin. Die stationären Chemomaßnahmen sind weiterhin ausgesetzt, da Lenas Blutwerte eine solche Therapie zur Zeit einfach nicht hergeben. Stattdessen steht nun die große Frage im Raum, ob man den fünften Intensiv-Chemoblock, der durch die Pilzinfektion ja nicht mehr gestartet werden konnte, das Risiko tatsächlich wert ist. Mittlerweile liegt die zeitliche Verzögerung bei gut drei Monaten und deshalb muss man sich natürlich irgendwann auch mal fragen, ob ein solcher Block überhaupt noch Sinn macht. Darüber wird in den nächsten Tagen die Studienkommission des sogenannten BFM - AML 2004 Protokolls beraten. Seit April 2012 gibt es ein neues Protokoll, das allerdings bei Lenas Therapiebeginn noch nicht veröffentlicht war. In diesem Protokoll finden sich leichte Modifizierungen bei der Behandlung, die natürlich auch in die Überlegungen bezüglich des fünften Blocks mit einfließen werden. Nach diesem neuen Studienprotokoll würde Lena jedenfalls "nur" noch als Standardrisikopatientin behandelt werden statt als Hochrisikopatientin, wie das bei ihr aktuell immer noch der Fall ist. Das immerhin finde ich ganz beruhigend, auch wenn ich nur mit bescheidenen Medizinkenntnissen ausgestattet bin. 

Kurz zusammengefasst dümpeln wir also weiterhin zwischen Klinik und häuslicher Krankenpflege hin und her. Auf Dauer ist das leider ziemlich öde, also gilt es, etwas Abwechslung in unseren Tagesablauf zu bekommen. Seit neustem kommt zweimal wöchentlich eine sehr nette Physiotherapeutin zu Lena, außerdem habe ich ihre alte Mathenachhilfelehrerin reaktiviert, so dass auch ein bisschen Denksport angesagt ist. So richtig aufregend ist das natürlich nicht, aber immerhin ein Anfang. Vielleicht dürfen wir ja irgendwann sogar mal ins Kino oder in die Stadt - und das fällt dann schon in die Rubrik Pimp my day!!! 

Apropos aufregend - ich stelle an mir selbst leider eine leicht beunruhigende Aggressionstendenz fest. Vielleicht ist die Tatsache, dass ich mich als Mutter so ohnmächtig fühle gegenüber der Krankheit meines Kindes, der Grund dafür, dass ich mich zunehmend über eigentlich wirklich unwichtige Dinge aufrege wie zum Beispiel die Art und Weise, wie unsere Haushaltshilfe die Spülmaschine oder den Kühlschrank einräumt. Von meinen verbalen Ausfällen beim Autofahren möchte ich hier gar nicht sprechen. Der monatelange Aufenthalt im Krankenhaus und die Fremdbestimmung durch die Krankheit hat meiner ohnehin nicht sehr ausgeprägten Frustrationstoleranz jedenfalls nicht wirklich gut getan. Wenn ich nicht so darauf angewiesen wäre, hätte ich meine Haushaltshilfe schon längst gefeuert und Autofahren würde ich am liebsten nur noch nachts, wenn außer mir kaum Leute unterwegs sind, zumindest nicht die, die mit angezogener Handbremse und Tempomat durch die Gegend fahren.
Vielleicht sollte ich es doch nochmal mit hochdosiertem Johanniskraut versuchen. Angeblich wird man dadurch deutlich gelassener. Andererseits besteht die Gefahr von hässlichen Pigmentstörungen - und davon bekomme ich erst recht schlechte Laune. Da trinke ich doch lieber mein geliebtes abendliches Glas Rotwein und halte es ansonsten mit Voltaire, der einst sagte:

Life is a shipwreck, but we must not forget to sing in the lifeboats...