Aktuell läuft es leider nicht so richtig
rund. Gestern musste Lena wieder zur Blutbildkontrolle ins Krankenhaus, wo man
mit den Ergebnissen derselbigen allerdings nicht so zufrieden war. Obwohl Lena
in der letzten Woche ihren Chemococktail „nur“ in Form einer Lumbalpunktion verabreicht bekommen
hat, sind ihre Werte mal wieder völlig in den Keller gerauscht – und da sind
sie bislang auch geblieben. Weil sich das in der Klinik keiner so richtig
erklären kann, ist für morgen früh nun eine außerplanmäßige Knochenmarkspunktion
angesetzt, denn nur dort kann man sehen, was bei Lena zur Zeit los ist bzw. was
nicht. Ich versuche, nicht zu nervös zu sein. Die wahrscheinlichste Erklärung
ist eine sogenannte „Makrophagenaktivierung“, was laienhaft übersetzt ungefähr
bedeutet, dass Lenas körpereigene Fresszellen sich gegen die „guten“ Zellen
wenden und diese vernichten, bevor sie im Blut angekommen sind. Das hört sich
dramatischer an, als es ist, aber dieses Phänomen konnte man bei ihr nun
bereits dreimal nachweisen und es ist behandlungsbedürftig. Da liegt aber leider
auch der Hase im Pfeffer begraben. Klassischerweise wird einer solchen
Entwicklung mit Immunglobulinen entgegengesteuert, aber die verträgt Lena nicht
– das haben drei allergische Schocks eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die
Alternative heißt Tee trinken und
abwarten, aber das fällt naturgemäß schwer und ist mit Risiken verbunden.
Andererseits ist natürlich alles besser als eine mögliche Rückkehr der
Leukämiezellen, aber daran wollen wir im Moment nicht denken.
Die Angst und Nervosität zu
verdrängen, gehört allerdings auch nicht zu meinen größten Stärken.
Zwischendurch werde ich davon so überfallen, dass ich glaube, keine Luft mehr
zu bekommen, doch solche Gefühle schüttele ich relativ schnell wieder ab, ganz
einfach deshalb, weil ich sie mir nicht leisten kann. Schlimmer ist die
permanente, unterschwellige Sorge, die mich dazu bringt, auch das noch so
kleinste Detail zu analysieren und zu interpretieren, sei es etwas, was sie
sagt, wie sie aussieht, wie sie mich anschaut, wie sie schläft, wie sie sich
fühlt... Solange ich wach bin, mache ich mir Sorgen, dass etwas nicht stimmt
und die nächste Katastrophe gerade Anlauf nimmt, um uns dann zu überrennen. Auf
Dauer ist das unglaublich zermürbend. Ich hätte so gerne mal einen Tag lang „sorgenfrei“!
Nicht hitzefrei, nicht beitragsfrei, nicht bügel- oder kalorienfrei, nein!
SORGENFREI, das will ich, nur für 24 Stunden oder vielleicht sogar mal ein
ganzes Wochenende lang.
Leider sind die Aussichten
diesbezüglich mehr als schlecht. Also gilt es, die Situation so weit wie eben
möglich zu optimieren. Die Möglichkeiten sind nicht unbegrenzt, aber
vielfältig.
Diesen mehr als wunderbaren Wein hat mir mein Freund Peter Roos geschickt und ich habe ihn zusammen mit meiner ebenfalls sehr wunderbaren Freundin Nele, die ich auf der Kinderkrebsstation kennen- und liebengelernt habe, vor lauter Begeisterung an einem Abend ausgetrunken. Bitte versteht mich nicht falsch. Ich möchte hier keinesfalls übermäßigen Alkoholkonsum als Allheilmittel gegen Sorgen jeglicher Art anpreisen, ganz im Gegenteil. Aber erstens sind 0,75l Wein geteilt durch zwei nur noch 0,375l pro Person, zweitens ist Rotwein gut für die Herzkranzgefäße und drittens muss ich schon die ganze Zeit ständig vernünftig und verantwortungsbewußt und stark und ich weiß nicht, was sonst noch alles sein. Also machen ein paar mentale Lockerungsübungen mithilfe eines guten Weins sehr viel Sinn. Und last but not least trinke ich auch nicht nur Wein.
Diesen Tee trinke ich gemeinsam mit Lena, bevor wir abends ins Bett gehen. Meine Schwägerin Annika hat ihn mir aus Lndon geschickt und ich bilde mir ein, dass ich davon gut schlafen kann, was in unserer Situation ja auch nicht ganz unwichtig ist. Jedenfalls schmeckt er entgegen meiner Vorurteile gegen Kamillentee ganz köstlich und ist bestimmt sehr gesund.
Nicht so gesund sind die weißen Schokoladentrüffel von Meyer, aber das ist egal. Sie schmecken und machen für ein paar Minuten richtig glücklich.
Außerdem mache ich zum Ausgleich ja seit ein paar Wochen Yoga und ich kann nur sagen, dass es so ziemlich das Beste ist, was mir in den letzten Monaten passiert ist. Damit beschließe ich auch meine heutigen Ausführungen, denn just in diesem Moment klingelt es an der Tür und meine Yoga-Lehrerin ist da.
Namaste!
P.S. Bitte drückt die Daumen für morgen!