Mittwoch, 7. November 2012

Man spricht deutsh

Ich bin so herrlich deutsch, dass es schon fast unnormal ist. Kaum hat sich ein wirklich monumentales Problem (5. Intensiv-Chemoblock) mehr oder weniger erledigt, ist bei mir der Blick freigelegt auf andere Dinge, über die ich mich gerne beklagen würde. Zum Beispiel auf die Frage, warum ich schon wieder eine Erkältung bekomme. Die letzte ist doch gerade erst zwei Wochen her. Was soll das? Und warum passt mir eigentlich keine einzige Hose mehr so richtig? Gerne würde ich mir vormachen, dass das am Yoga liegt, aber natürlich ist mir im Grunde klar, dass diese Rechnung nicht ganz aufgeht. Um 3 Kilo Muskelmasse zuzulegen, müsste ich ganz sicher häufiger als zweimal pro Woche meine Sonnengrüße machen, mal ganz abgesehen davon, dass ich auch nicht wirklich muskulös aussehe. Meine blöde Tanita Inner-Scan-Body-Composition-Monitor-Waage zeigt stoisch den Bodystatus "4" an, was übersetzt ungefähr soviel bedeutet wie: "Geh mal ins Fitness-Studio und bau ein paar Muckis auf, baby". Warum ich so eine Waage überhaupt gekauft habe? Keine Ahnung! Wahrscheinlich habe ich gehofft, sie würde mir nur nette Dinge sagen, weil sie nämlich ganz schön teuer war. So ein Ärger!
Lena kann über solche Probleme verständlicherweise nur milde lächeln und ich bemühe mich nach Leibeskräften, mein deutsches Jammer-Gen so weit wie möglich zu unterdrücken, aber manchmal setzt es sich halt durch. Dann möchte ich mich hinsetzten und alles einfach nur Scheiße finden. Den Verkehr, das Wetter, meinen Hintern, einfach alles. 
Denn so bizarr es auch klingen mag - nachdem das Schlimmste nun hoffentlich hinter uns liegt, eiere ich irgendwie total orientierungslos durch die Gegend und weiß überhaupt nicht mehr, was ich jetzt eigentlich so genau machen soll. Natürlich ist Lenas Therapie immer noch extrem zeitintensiv, aber sie lässt dennoch Raum für andere Dinge, die in den letzten Monaten ganz und gar unmöglich waren. Daran muss ich mich erstmal wieder gewöhnen. Und manches möchte ich auch gar nicht mehr zurückhaben, wie etwa diese völlig  idiotische Beschäftigung mit dem eigenen Äußeren. Aber es kommt zurück, ob ich will oder nicht. Plötzlich geht es nach all den Monaten nicht mehr ausschließlich um Leben oder Tod, was in allererster Linie natürlich ein absolut wünschenswerter Zustand ist. Aber das Ganze zwingt einen auch dazu, sich wieder mit sich selbst auseinanderzusetzen und vieles im Leben in Frage zu stellen, was vorher einfach nur eine lästige Begleiterscheinung war. Natürlich gibt es mittlerweile durchaus Dinge, die mich bei weitem nicht mehr so aus der Ruhe bringen wie vor Lenas Erkrankung. Andere dagegen machen mich auf eine Art und Weise agressiv, dass ich manchmal selbst erstaunt bin. Es sieht so aus, als müssten sowohl Lena als auch ich unsere Rollen im Leben teilweise neu definieren. Was mache ich jetzt als nächstes? Wie sehr braucht Lena mich in den nächsten Monaten? Wäre es nicht auch gut, mich zwischendurch mal zurückzuziehen und sie einfach machen zu lassen? Schaffe ich es, einen Alltag ohne Fieberthermometer und ständige Kontrollen in Bezug auf ihre aktuelle körperliche und seelische Verfassung zu bewältigen? Bekomme ich meine Angst in den Griff? Und wie fülle ich die Leere, die plötzlich ensteht, wenn ein so intensiver Lebensabschnitt auf eine gewisse Art und Weise zuende geht? Warum kann ich mich nicht einfach mal nur hinsetzen und das Gefühl genießen, dass zur Zeit alles irgendwie ganz okay ist? Weil ich als Deutsche einfach automatisch immer jammern muss? 
Bei so vielen Fragen erledigt sich allerdings zumindest ein Problem - nämlich, was ich mit meiner zusätzlichen Zeit anfangen soll. Die geht demnächst vermutlich bei der Suche nach Antworten drauf. Eine habe ich aber bereits definitiv gefunden. Mir ist bewußter denn je, wie wichtig mir meine Familie ist. Das hört sich vielleicht banal an, aber früher habe ich gerne mal einen Besuch im Restaurant einem Abend mit meinen Kids vorgezogen. Das ist heute anders herum. Natürlich freue ich mich auch jetzt auf Abende mit Freundinnen und darauf, mal wieder ohne schlechtes Gewissen auszugehen. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer Spaghetti Miraculi mit meinem Mann und meinen Kindern wählen. Und natürlich mit Malou!