Montag, 13. Mai 2013

Bin ich nett?

Eines der Dinge, die mich in den letzten Monaten ziemlich beschäftigt und auch betrübt haben, ist meine zunehmende Unfähigkeit, mit meiner Umwelt direkt zu kommunizieren, wenn es um Lena und um mich geht. Ich komme mir vor wie ein Fisch auf dem Trockenen, winde mich, zappele rum und bin froh, wenn ich wieder untertauchen kann - im wahrsten Sinne des Wortes. Ich bin gewissermaßen müde geworden, ständig darüber zu reden, wie es Lena geht oder wie ich mich fühle, was wir als nächstes machen oder wie toll es ist, dass wir überhaupt soweit gekommen sind. Ich ziehe mich immer häufiger zurück und bin - von einigen wenigen Ausnahmen mal abgesehen - froh, wenn ich meine Ruhe habe. Das Leben mit der permanenten Angst im Rücken ist so anstrengend, da kann ich mich nicht auch noch um tausend andere Sachen kümmern, ständig Übernachtungsgäste im Haus haben oder den ganzen Tag gute Laune versprühen. Tatsächlich habe ich überwiegend ziemlich schlechte Laune, was von meiner unmittelbaren Umgebung allerdings nur in Maßen toleriert wird und ein weiterer Grund ist, warum ich so gerne alleine bin.

Ehrlich gesagt verstehe ich auch gar nicht, warum ich dauernd gut gelaunt sein soll. Dass ich dankbar dafür bin, dass es Lena wieder besser geht, versteht sich von selbst. Aber muss ich deshalb so tun, als wäre die ganze Sache damit vom Tisch? Das ist sie nämlich nicht - und zwar noch dreieinhalb Jahre lang nicht. Ich wache nach wie vor nachts auf und kann dann vor lauter kruden Gedanken nicht mehr einschlafen. Ich mache mir immer noch bei jeder von Lenas Erkältungen in die Hosen und bin wahnsinnig in Sorge, wenn sie sich schlapp und schwindelig fühlt, wenn ihr schlecht ist oder sie Augenringe hat. So harmlos fing alles letztes Jahr an - das kann ich nicht einfach so wegwischen. Meine Laune ist ein einziger großer Riesenscheißhaufen, der zwischendurch mal ein bisschen kleiner wird und weniger stinkt, bevor er wieder beängstigend anschwillt.

Vor einigen Wochen wurde es so schlimm, dass ich einen Psychologen aufgesucht habe, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich mit diesem ganzen Mist nicht mehr alleine zurechtkomme. Der Mann hat mir nach einer Sitzung eine Depression diagnostiziert, aber das wusste ich ja irgendwie schon vorher. Obwohl ich dann noch dreimal da war, sind wir über diese bahnbrechende Feststellung nicht hinausgekommen. Allerdings haben wir auch nicht zueinander gepasst. Jetzt muss ich mich nach jemand anderem umschauen, wozu mir aber irgendwie der Antrieb fehlt. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich gegen eine Depression ankämpfe. Mal abgesehen davon, dass all diese Gefühle von Angst, Wut, Unsicherheit und Agression wahrscheinlich total normal sind, habe ich meinen Körper, genauer gesagt, meine Hormone mit in Verdacht. Die scheinen mittlerweile genauso von der Rolle zu sein wie ich. Ein erster zuhause durchgeführter Speicheltest (irgendwie eklig, aber trotzdem oder gerade deshalb ziemlich erhellend) hat das auf jeden Fall eindrucksvoll bestätigt. Natürlich löst das jetzt nicht meine Probleme, aber irgendwie finde ich den Gedanken schöner, dass mein Östrogen und Progesteron verrückt spielen als irgendwann als letzte Möglichkeit Antidepressiva einzuwerfen.

Stattdessen habe ich sowieso das Gefühl, dass mir der Blog doch am meisten helfen könnte. Obwohl ich es, wie oben erwähnt, überhaupt nicht mehr gut aushalten kann, über alles zu SPRECHEN, ist das SCHREIBEN relativ einfach, ja geradezu therapeutisch.
Das Schöne ist, dass ich gleichzeitig alleine und zusammen mit jemandem sein kann. Es spielt keine Rolle, wann ich in Interaktion trete, ob morgens, mittags oder abends. Manchmal schreibe ich und trinke dabei Tee, manchmal steht ein Glas Wein neben mir. Manchmal lackiere ich mir dabei die Fingernägel. Ich kann aufstehen, weggehen und irgendwann wiederkommen und weiterschreiben. Ob ich einen Jogginganzug trage, ein Abendkleid oder in der Nase bohre, spielt keine Rolle. Ich werde nicht beobachtet und muss auf niemanden Rücksicht nehmen. Naja, auf fast niemanden. Natürlich würde ich hin und wieder gerne mal einen kleinen subjektiven Kommentar über den ein oder anderen meiner Mitmenschen vom Stapel lassen, aber davon muss ich um des lieben (Familien)-Friedens willen leider absehen. Egal. Das Schreiben meines Blogs bedient all die Widersprüchlichkeiten, mit denen ich derzeit zu kämpfen habe. Deshalb werde ich nun hoffentlich wieder öfter genau das tun - in der Hoffnung, damit ein paar meiner inneren Dämonen zu bezwingen und insgesamt wieder ein etwas fröhlicherer und irgendwie auch netterer Mensch zu werden. Wobei ich das letzte ganz ehrlich gar nicht so richtig meine, denn eigentlich bin ich trotz allem ein netter Mensch - es kommt nur auf die Perspektive an.